Lack ab

Total gerädert standen wir gegen 8:00 Uhr auf, es war der wohl schlechteste Schlaf unserer bisherigen Reise. Dieses Holzfass hatte sich alle Mühe gegeben einen Preis als bester Wärmespeicher des Jahres zu gewinnen. Die Einmalbettwäsche brachte den Körper zum Hochleistungsschwitzen und die Mücken rächten sich, das Alfred Hitchkock einen Film nur über „Die Vögel” gedreht hatte und nicht über die waren Biester der Natur. Selbst Bram Stoker hätte seine Romanfigur Mückula genannt, hätte er in dieser Hütte übernachtet. Als unsere Geister endlich aufgaben sich gegen Blutsauger, Schweißgelage, Sauerstoffarmut zu wehren und einschliefen, gab es plötzlich einen katastrophal lauten Knall. Wir beide standen sofort neben dem Bett, Johanna erschrocken und fragend und ich erschrocken und abwehrbereit. Wir fanden die Ursache des plötzlichen Akkustikphenomäns nicht. Ich gab mich mit der Vorstellung zufrieden, dass es eine Mücke mit dem Blutsaugen übertrieben hatte und unter einem lauten Kawumm platzte oder vielleicht war es auch nur eine thermostatische Reaktion des Fasses, welches sich unter der heißen Sonne ausgiebig ausdehnte und in der 20 Grad kalten Nacht zitternd zusammenzog.

Jedenfalls dauerte es wieder eine Ewigkeit unsere Geister zu beruhigen, aber die Mücken und die nass geschwitzte Körper liesen uns immer wieder aufwachen.

Wir packten unsere Sachen zusammen, frühstückten noch unser am Vortag bestelltes Baguette mit Schokocreme und Kaffee und marschierten die anstehenden 15 km los. Eigentlich war es so, wie am Vortag, mit einem großen Unterschied, die Kilometer klebten an uns wie Vogelkacke. Sie gingen einfach nicht weg, wurden nicht weniger. Nach 7 km kamen wir an einem Supermarkt vorbei und genossen eine schöne Mittagspause auf einer schattigen Parkbank in Sorgues, natürlich mit kaltem, großem Getränken. Nach gefühlt zwei Jahren kamen wir zum zweiten Supermarkt auf unserer Strecke, 3 km vorm heutigen Ziel. Dies war ein reiner Biomarkt, was eigentlich toll ist, nur bekommt man da nichts, was man kennt und wonach der Körper heißhungrig lechzt. Und alles, was man dann doch möchte, vermiesepetert einen das Gehirn, mit Sprüchen wie “Echt jetzt, so ein kleiner Eisbecher für ACHT Euro? Wirklich?” So kauften wir uns jeder ein Getränk, wofür wir auch 8 Euronen hinterlegten. Assimäßig, auf dem Boden vor dem Supermarkt sitzend, verdampften wir diese hochpreisige Qualitätsware.

Dann hätten wir es ja fast geschafft, wenn der Weg in der Realität genau so offen gewesen wäre, wie der in der Wander-App. Aber hier in unserer Matrix standen wir vor riesigen, mit eisernen Ketten verschlossenen Toren, welche ganz laut brüllten “Hier kommt ihr nicht vorbei! Hier kommt ihr nicht vorbei!” Die Sonne nutzte diese Chance, um uns mit ein paar extra heißen Strahlen ömmelig zu machen. Es dauerte einen Moment, aber dann fand ich den Weg drumherum und so liefen wir apathisch, Schritt für Schritt, viel zu benommen um sich aufzuregen, und standen irgendwann vor einem riesigen, grünen, geschlossenen Tor, am Zeltplatz. Der Unterschied zu den vorherigen Toren, war eine kleine, aber wichtige Klingel. Johanna diddschte den Knopf und eine Minute später öffnete sich das Tor, wie von Zauberhand. Der Campingplatz war überschaubar und an der Rezeption empfing uns ein unglaublich freundliches, vermutliches Pärchen älteren Semesters. Diese gestikulationsreichen Gespräche in frenglisch, mit viel Gelächter, solltet ihr wirklich mal erleben! Direkt nach dem geschäftlichen Buchungsakt, gönnten wir uns vor Ort noch eine Büchse Fanta, um dem Kühler im Köhler etwas zu helfen. Beim Preis von 1,20 € beruhigte sich auch das Gehirn und gab den Weg frei, für noch viele weiter Getränke nach der Pflicht, also Zelt aufbauen und co. 

Johanna war sichtlich gezeichnet vom Dauermarsch im Glutofen. Sie baute ihren Stuhl auf, versank darin wie ein Schluck Wasser, atmete tief durch und wollte sich vor lauter Erschöpfung etwas hängen lassen. Ihr Blick sank dabei langsam nach unten, sie erblickte ihre Füße und erwachte, als hätte sie ein Gespenst gesehen, zu neuem Leben. Sie erblickte eine kaputte Stelle, an einem ihrer lackierten Fußnägel, sofort packte sie ihren Hygienekoffer aus und holte den roten Nagellack hervor. Jeder Autolackierer wäre vor Neid geplatzt, hääte er gesehen, wie sie das auf diesem dreckig, staubigen Boden hinbekam. Danach kehrte die Erschöpfung zurück, es gab noch eine paar Makkaroni vom Vorvortag aus Orange und die von Hirn freigegebenen Kaltgetränke. 

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