Zu viel

Obwohl ich schon sieben Nächte auf dem Campingplatz war, wäre ich gern noch geblieben. Klar mich drängt nichts, ich könnte bleiben, aber bekanntlicher Weise sollte man gehen, wenn es am schönsten ist. 

Da ich viele Sachen mit der Post heimgeschickt habe und nun nur noch eine Tasche packen will, dauerte der ganze Spaß wieder viel zu lang. Während ich so packte fragten mich meine neuen Zeltnachbarn, ob einen Kaffee möchte und zu einen frischen Espresso, konnte ich nicht nein sagen, zu mal diese junge Familie aus dem italienisch sprechenden Teil der Schweiz kommt und wenn jemand Kaffee machen können sollte, dann ja wohl sie. So war es, ein richtig guter, geschmackvoller Kickstarter in Tag und dazu noch ein tolles Gespräch.

11:00 Uhr kam ich endlich los und merkte schnell, das mit dem Tasche packen funktioniert nun etwas anders. Irgendwie hatte ich zu viel Gewicht in den Händen, es fühlte sich schwerer an, als mit den weggeschickten 23 kg. Die zweite Tasche, welche ich vorher oben drauf schnallte, konnte ich etwas nach vorn oder nach hinten verschieben und somit das Gleichgewicht des Wagens ausbalancieren, das konnte ich nun nicht mehr. Trotzdem marschierte ich los, eine Zeitlang fluchend, weil es schwerer war, doch bald mit der Einsicht, dass dies nun von Tag zu Tag wieder besser wird.

Zuerst ging es nach Nizza, die Stadt, die ich vor zwei Tagen hatte lieben gelernt und daran änderte sich auch mein Fußmarsch entlang der Strandpromenade nichts. Zuerst kam ich am Flughafen vorbei, sah Maschinen starten und landen und sah einige Privatmaschinen von wohl keinen Harz-4-Empfängern. Dann begann die Strandpromenade, mit traumhaft schönen, fast menschenleeren Badestränden. Es machte riesigen Spaß auf diesem Weg zu gehen, denn ich hatte mich ja bereits im Meer ausgetobt. Fragte mich aber auch, warum ich mir an Lauftagen diese Zeit nicht nehme. An einem Stand gönnte ich mir einen iced coffee und genoss ihn, denn zum einen schmeckte dieser hervorragend und zum anderen sorgte diese Atmosphäre für ein sich Wohlfühlflair. Um so richtig auf die Kacke zu hauen, kaufte ich mir noch ein Eis in der Kneipe, wo ich vor zwei Tagen große Erleichterung fand. Ich war drauf und dran mir noch ein Stück Pizza zu besorgen, weil mir ständig der Reim “Eine Pizza in Nizza” in Endlosschleife durchs Gehirn ging, aber das konnte ich verhindern und schon war ich aus Nizza raus. 

Wenn ich durch Nizza schon auf einem Stimmungshoch war, folgte nun der absolute Gefühlszunami, denn noch nie hatte ich so viele, so außergewöhnlich schöne Aussichten, Strände, Buchten, Städtchens gesehen, wie auf diesem Weg. Wenn ich mich nicht ab und zu ans Atmen erinnert hätte, wäre ich wohl umgefallen. Ich schoss so viele Bilder mit dem Handy, das mir eine Auswahl schwerfällt, und ärgerte mich so sehr über das blöde, heruntergefallene Objektiv, denn das wären natürlich nochmal ganz andere Bilder geworden. Der Weg von Nizza nach Beaulieu sur Mer ist ein Traum, den muss man laufen, nicht mit Auto, Motorrad oder Fahrrad fahren. Ich habe 1.000 wunderschöne Aussichten gesehen und bestimmt 10.000 verpasst. Selbst die Radfahrer halten nicht, wenn sie einmal im Rollen sind. Es ist echt ein Traum!

Dann begann der anstrengende Teil des Tages, der Körper hatte natürlich die knapp 30 km registriert, auch wenn er mit Glücksgefühlen zu gedröhnt wurde. Einen Campingplatz gibt es nicht und zum alternativen Übernachten, fand ich nur eine einzige, eventuell geeignete Stelle auf der Karte. Einen Parkplatz zum Meerblick genießen. Denn von ihm aus führte ein Pfad zum Meer. Auf dem Parkplatz angekommen, standen schon einige Fahrzeuge dort und einer von ihnen bereitete sich sein Abendbrot zu. Vom Parkplatz führte eine Treppe, na toll eine Treppe, zum Pfad. Ich ließ den Benpacker alleine neben den Mülltonnen stehen und erkundete den Pfad. Nach der Treppe kamen ein paar sehr geeignete Stellen zum Übernachten, da sie sehr eben, ohne Gefälle waren, doch sie waren alle vollkommen zugeschissen und die weißen Papierrosen mit brauner Blüte wuchsen wie Unkraut. Also ging ich weiter, in der Hoffnung, direkt am Strand etwas zu finden und tatsächlich, ein Traum von Strand mit vielen geeigneten Schlafplätzen. Als ich mich gerade richtig freuen wollte, hörte ich Stimmen und sah fünf Männer die etwas versteckt, mit freiem Oberkörper dort saßen und sich einem nach dem anderen genehmigten. Damit war der Traum von der Nacht am Strand passe, denn ich wusste nicht, was das für Typen sind und traute mich nicht. Oben Scheiße unten Mist, dachte ich, was mach ich nun? Während ich zurück zum Parkplatz ging, fiel mir der weiche, mit groben Holzspänen bedeckte Boden des Weges auf, da beschloss ich kurzer Hand und ohne jeden vernünftigen Gegengedanken zu zulassen. “Ich schlafe auf dem Weg!” Ich zerrte den Wagen die Treppe herunter, suchte eine Stelle, an der etwas Wegesrand vorhanden ist und baute dort mein Nachtlager auf. Die Hängematte wäre die Wahl meiner Wünsche gewesen, aber dort gab es nur Gebüsch, so viel die Wahl auf den Bivysack. Unterlage, Isomatte, Bivysack, Schlafsack, Kopfkissen und Bämm, lag ich auf, bzw. Zur Hälfte auf dem Weg.

Ein Jogger kam vorbei, ich grüßte freundlich und er etwas verdutzt, aber auch freundlich zurück. Es war etwas dunkel, da kamen drei polnische Radfahrer, die, um zu schlafen, zum Strand gingen. Am liebsten wäre ich mitgegangen, mit drei anderen, hätte ich mich auch getraut. Aber mein Nachtlager stand und ich lag schon drin. Es war fast dunkel, da stand plötzlich ein nackter Mann neben mir und sagte, dass hier nachts häufig irgendwelche Menschen diesen Weg entlang gehen. Zum denken war ich da grad nicht mehr in der Lage, aber der Mann brachte ordnungsgemäß seinen Müll in die Mülltonnen auf den Parkplatz und ging wieder zum Strand. Da schlussfolgerde ich, dass das wohl einer der fünf Pichelbrüder war. Aber so anständig, wenn auch nackt, hätte ich wohl doch keine Bedenken haben müssen, aber egal, ich lag nun da und blieb da. 

Es war warm und ich schwitzte immer noch vom Tag, so kroch ich nur halb in den Bivy und den Rest bedeckte der Schlafsack. Der Bivy, war so zusagen, die Notfallversion, falls es regnet, denn Regen war für den nächste Tag angekündigt und Wolken waren auch schon da. Ich hätte auch schon komplett in den Bivy schlüpfen können, aber wie gesagt, mir war zu warm und meine letzte Nacht in ihm sorgte für reichlich Beklemmung. Es wurde dunkel, eine löchrige Wolkendecke war am Himmel und ich sah hier und da einen Stern dahinter. Die entfernte Stadt lag vor mir in ihrer romantischen Scheinwerferversion.

Links neben mir stand etwas Gebüsch und dahinter lag etwas tiefer das Mittelmeer, welches ich noch sehen konnte, bevor es dunkel wurde. Rechts neben mir, war etwas kleines Gebüsch, in dem nachts das Leben erweckte, ich habe keine Ahnung, was es war, aber es schaute mich mit großen Augen an und als ich mich bewegte, riss es aus und machte die Nacht lang sein Ding geräuschvoll ohne mich. Hinter dem kleinen Gebüsch war ein Rohr, in dem etwas floss und sich wie ein rauschender Bach anhörte. Hinter dem Rohr war eine Mauer, auf der sich die Straße befand, so ca. 5 m von mir entfernt und ca. 2m erhöht fuhren die  Autos, Busse und LKWs hinter einem Geländer. Hinter der Straße befand sich das Eisenbahngleis, welches regelmäßig von einem Zug überrollt wurde und damit man das auch alles richtig hört, ragt hinter dem Gleis eine mindestens 100 m hohe Felswand zum Himmel und leitet die zu ihrer Seite abgegebenen Geräusche zum Meer, in dieser Nacht auch zu mir. Danke, liebe Felswand. Aber der absolute Schlafkiller war der Entschluss, nicht komplett in den Bivy zu schlüpfen und das Moskitonetz zu zuziehen und die totale Fehlannahme, das Mücken, nur so bis 22, max. 23:00 Uhr aktiv sind. Nein, ich musste lernen Mücken können, wie ich, durchfeiern, wenn es was zu trinken gibt.

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