Zu Fuß ans Mittelmeer

Bevor es wieder raus aus der Idylle auf die enge, kurvenreiche Autostraße ging, genehmigten wir uns noch einen eiskalten Softdrink an der Bar um etwas cooler auf der heißen Straße zu laufen. Nach ca. einem Kilometer gelangten wir nach Istres, eine Stadt, welche der Autostraße Fußgängerwege spendierte und uns somit das (Über-)Leben leichter machte.

Heute war es nun soweit, heute würden wir das Mittelmeer erreichen, heute ist unser letzter gemeinsamer Lauftag. Denn Johanna hatte sich das Mittelmeer als maximales Ziel auserkoren. Nach dem gestrigen Gemütsdesaster gaben wir beide uns viel Mühe, uns nicht von den nahenden Abschiedsgefühlen übermannen zu lassen, und schritten würdevoll voran. Der Weg wollte sich auch nochmal von all seinen Facetten zeigen und so gingen wir durch schöne Ortschaften, hässliche Industriegebiete, schöne Natur, sahen sogar Flamingos in einem See, mitten in einem Industriegebiet. 

Auf einem Bergkamm machten wir Pause, eine Stelle, von der wir zu jeder der zwei Seiten des Berges einen See sahen. Außerdem gab es dort eine archäologische Ausgrabungsstätte inklusive einem “Och-gucke-mal-ein-alter-Stein”-Häuschen. Wir gingen weiter, und wenige Meter später, bemerkte ich, dass wir auf einem falschen Weg sind, also wieder zurück. Aber wo ist der richtige Weg? Der richtige Weg verlief mitten durch die sehr weiträumig abgesperrte, archäologische Ausgrabungsstätte. Als ich endlich begriff, dass es hier kein Weiterkommen gibt, plante ich den Weg, um dem Berg herum, anstatt über ihn drüber, während ich lautstark auf die arroganten, lebensverachtenden Archäologen schimpfte. Als wir dann den Weg liefen, der anstrengend war, aber keine weiteren Überraschungen bereithielt, erkannte ich, dass das ein tolles Abschiedsgeschenk des Weges war. Denn so hatten wir noch 2 weitere gemeinsame Laufstunden hinzu bekommen.

Es ging nur bergauf und wurde immer steiler, bis sich die Landschaft zu einer Kuppe formte und von nun an nur noch bergab ging. Plötzlich war es da, zum ersten Mal sahen wir es. Romantisch zwischen riesigen Öltanks, rauchenden Schornsteinen und Industrieanlagen, lag es mit all seiner Schönheit, Würde und Anmut vor uns – das Mittelmeer!

Wir hielten nicht an, um die Aussicht zu genießen, wir gingen schnell weiter, wobei uns unsere Waagen kräftig anschiebend halfen. Es wurde steiler und steiler, die Stadt Port de Bouc tauchte nach und nach auf, und ab und zu erhaschten wir einen Blick auf das Mittelmeer. Was Johanna bei diesem Anblicken durch den Kopf ging, weiß ich nicht. Für mich war es ganz großes Kino, hoch emotional. Diese Gedanken hier wiederzugeben, wäre unmöglich, denn jeder Einzelne erzählt eine komplexe Geschichte. Kurzgesagt dachte ich: “Was würden wohl meine Eltern sagen?” Meine Eltern sind leider viel zu früh von uns gegangen, sie lebten in der DDR und hatten nie die Chance das Mittelmeer zusehen, obwohl sie auch neugierig und reiselustig waren. Da war dann auch ganz schön Pippi in den Augen. 

Der Weg forderte schnell wieder volle Aufmerksamkeit, riesige Bordsteine, Autos, die richtige Richtung beibehalten und irgendwann liefen wir tatsächlich aufs Meer zu und sogar direkt bis ans Meer heran. 

Wir konnten es nicht fassen, Küsschen, Selfies, Fotos, Videos und weiter ging‘s zum Campingplatz. Dieser lag direkt am Meer und es war Hochsaison, hoffentlich bekommen wir dort ein freies Plätzchen für die Nacht. Wir standen vor einem großen grünen, geschlossenen Metalltor mit Zahlencode und ohne Klingel. Eine Kamera beobachtete uns und an der Rezeption standen noch Leute, so dachten wir, wenn diese Leutchen fertig sind, dann lassen sie uns rein. Aber ein kleines Mädchen, ein Gast, kam diesem Szenario zuvor und öffnete uns das Tor. Drei Dinge machten den Zeltplatz für uns zum absoluten Hauptpreis: 1. Alles französisch, 2. Municipal, also städtisch und 3. Direkt am Mittelmeer 

Wir durften uns unseren Schlafplatz selbst aussuchen und so entschieden wir uns für einen, nahe an den Sanitärräumen. Alles lief wie im Film ab, wir konnten nicht realisieren, was da gerade ablief. Wir waren 3 Monate und eine Woche kontinuierlich unterwegs, sind ca. 1.100 km gelaufen und jetzt waren wir am Mittelmeer.

Wir errichteten unser Nachtquartier und ich musste dringend duschen, aber bevor ich das tat, tauchte ich ins Mittelmeer. Es war mir egal, welch dramatische Wolken am Himmel hingen, das es donnerte, diese Erfrischung wollte ich nicht von einer Campingdusche.

Nach dem Duschen wollten wir unseren Erfolg feiern, der Nachteil von municipal ist, da gibt es keine Bars oder Shops. Aber genau gegenüber vom Zeltplatz war ein Restaurant, das sah zwar von außen mehr nach Imbiss aus, stand aber Restaurant dran. Wir waren die ersten Gäste des Abends, denn wir warteten davor, bis es um 19:00 Uhr öffnete. Eine sehr freundliche Frau begrüßte uns und wies uns einen Tisch zu. Irgendwie, was sonst fast nie passierte, gab es ein Gespräch zwischen Johanna und der Kellnerin, dabei stellte sich heraus, dass die Kellnerin aus Polen stammt und schon seit 7 Jahren in Frankreich lebt. Meine Frau lebt seit ca. 30 Jahren in Deutschland und stammt aus Polen, so konnten wir uns das erste mal in einem Restaurant die Speisekarte erklären lassen und so einiges andere. Es wurde ein toller Restaurantbesuch. Lass dich in Frankreich nie vom äußeren täuschen oder gar abschrecken, wenn es ums Essen geht.

Wieder zurück in unserem Stoffschloss, steppte auf dem Platz neben uns der Bär. Disco war angesagt und der DJ gab alles “EIJEIJEIJEIJEIII, ARRIBA, ARRIBA” war sein Schlachtruf, den er nach fast jedem Lied brüllte und es wurde noch besser, denn einige Lieder sang er sogar selbst. Hauptsächlich erschallten spanische-, latino-Klänge, ab und zu auch noch etwas Französisches und zum Schluss, also mitten in der Nacht, sangen die Discobesucherinnen selbst zur Musik. Es war eine würdige letzte Nacht gemeinsam im Zelt.

1 Comment
  • Klaus
    Posted at 13:58h, 07 August Antworten

    Herzlichen Glückwunsch. Mit viel Spannung und Genuss verfolge ich eure Reise und bin gespannt, wie es weitergeht.

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