Schlechte Aussicht

Wieder einmal hatte ich das Moosbett falsch eingeschätzt, dieses Mal waren es keine Wurzeln, sondern es war ein etwas härterer Teil und ein etwas weicherer Teil. In der Nacht wurde aus dem weicheren Teil eine Kuhle, deren Form sich mein Oberkörper anpassen musste. Dennoch war es eine recht erholsame Nacht. Morgens ist es mir momentan viel zu kalt um zu Frühstücken, außerdem möchte ich immer gern schnell weg von meiner Schlafstelle, um den Nervenkitzel zu beenden. Also, Zelt auf, Schlafsäcke und Isomatte zum trocknen rauslegen, Zähne putzen, zusammenräumen, packen und los geht’s. Okay, das klingt hier schnell, aber es sind knappe 2 Stunden. Den Wagen aus den Wald hieven, vom Waldweg auf die Straße ochsen und schon ist man warm.

In der ersten Pause snackte ich eine Kleinigkeit und nahm mit großem Fragezeichen über dem Kopf die Wetterprognose meiner Wetterapp zur Kenntnis. Diese orakelte in den kommenden drei Tagen totales Schietwetter voraus, also Regen, Schnee, Kälte und das alles auf einmal. Okay, welche Optionen habe ich, …ach gucke da, ein Zeltplatz, gleich bei Sant Vith, 365 Tage im Jahr geöffnet und nur 10 km von hier entfernt. Auf dem Weg dahin, lief ich auf einem hammermäßigen Radweg, es war ein Abschnitt des RaVel- Radweges, genauer gesagt, war es die Vennbahn. Für jeden Radfahrer unter euch, eine fette Empfehlung! 

Der Zeltplatz wurde okkupiert von einem belgischen Pärchen mit Wachdackel und Camper und mir. Krass, fast vollkommen allein, Strom im Zelt, WiFi und das Beste: Duschen mit warmen Wasser, ohne Coins oder andere Beschränkungen, einfach drunterstellen, aufdrehen und genießen, äääh waschen. Es war ein schönes Gefühl, vollkommen gelassen sein Zelt aufzubauen, ohne dieses Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. 

Das Zelt stand schnell, der Wagen wurde abgedeckt und ab ging es auf Entdeckungstour nach Sant Vith. Ein beschauliches Städtchen mit einer schönen Kirche, interessantem Heimatmuseum “Vom Venn bis in die Schneifel”, allen nötigen und unnötigen Geschäften, sogar ein veg. Café mit holistischem Shop, auch ein cooles Gemeinschaftsprojekt, um die Menschen wieder näher an die Natur zu bringen, war am Start. Dekadent gönnte ich mir einen Cappuccino mit einem Stück Kuchen in einem Café, welches mit einer wunderschönen Art Deco-Fasade verziert war. Im Supermarkt gab es auch alles, was mein Herz/Magen begehrte.

Der nächste Morgen startete überraschend ohne Schietwetter, hrrrr, da hätte ich auch weiterlaufen können, aber es ist wie es ist. Also ging’s nochmal nach Sankt Vith in den Supermarkt, zurück, paar Sachen optimieren und chillen. Es dämmerte schon und es wurde ziemlich kalt, da kam ein neuer Gast und baute sein Zelt in die Nachbarnische. Er war mit dem Fahrrad unterwegs, und fuhr an diesem Tag 140 km, da alle anderen Zeltplätze auf seinem Weg noch geschlossen waren. Er kam auf dem Weg, den auch ich ging, nur aus der entgegengesetzten Richtung. Er erinnerte mich an meinen Freund Markus W., vollkommen Fahrradkrank, aber total sympatisch. Als er am nächsten Tag weiterfuhr, zog auch das belgische Pärchen von Tannen. Jetzt war ich vollkommen allein auf dem Platz, im wahrsten Sinne der letzte Kunde. Denn der Pachtvertrag des Pächters war abgelaufen und die Stadt verkaufte an einen Anderen. Klingt alles normal, aber leider lief alles wie im schlimmen Wallstreetfilm ab. Sicher war der Platz nicht der modernste, aber mit viel Charme, großem Herz und für alle Arten des Campings sauber hergerichtet. Der neue Besitzer wird moderne Camperunterkünfte hinzimmern und für sattes Geld vermieten. Dabei müssen natürlich alle Dauercamper schnell weg. Dauercamper, welche 20-30 Jahre dort standen, ihr Geld in den Geschäften und Restaurants von Sant Vith ausgaben. Aus Sicht des neuen Eigentümers ist das auch vollkommen verständlich. Aber meiner Meinung nach, ist das aus Sicht der Stadt, welche da ein Wörtchen mitzureden hat, ein absolutes Armutszeugniss =( Diese Stadt liegt an dem genialen Radweg “Vennbahn” und wird höchstwahrscheinlich für zeltende Fahrradfahrer, Wanderer, Abenteurer keinen Platz mehr haben.

Es wurde kalt, sehr kalt und der nächste Morgen startete mit Bilderbuchschietwetter, es war so kalt, das selbst der Niederschlag eine Existenzkriese hatte, bin ich Regen, bin ich Schnee, oder will ich Eisregen sein. Jede Zeltniesche war von drei Seiten mit einer massiven Hecke umsäumt, diese nutzte ich, um mein Tarp halb übers Zelt zu basteln. Cool, das Tarp hing und hielt dem Wind stand. “Man bin ich ein Held, voll der SurvivalKnut.” Blöderweise sammelte sich in der Mitte des Tarps Wasser und ich musste regelmäßig das Tarp anheben, damit das Wasser abläuft. Schräg gegenüber lag etwas Schrott, unteranderem eine Leiter und ein Schrupper. MacGyvermäßig verband ich diese und stemmte diese Skulptur unters Tarp, so dass das Wasser direkt abfloss. Noch schnell ein Stück Arbeitsplattenrest vors Zelt gelegt und schon war das entstandene Schlammloch versiegelt. Jetzt hatte ich eine kleine regenfreie Zone und wusste, dass ich am nächsten Tag meine Sachen zwar nicht trocken, aber wenigstens im Trockenen einpacken kann.

Den Rest des Tages verbrachte ich vorwiegend im Zelt und fröstelte vor mich hin. Bis ich wiedermal die Wetterfee befragte. Frage nie, wenn du die Antwort nicht hören willst! Denn die Antwort war nicht nett. “In den nächsten 14 Tagen voraussichtlich totales Megaschietwetter” Regenwahrscheinlichkeit immer über 90%, Temperaturen: Nachts unter und Tagsüber knapp um den Gefrierpunkt, Sonnenstunden von 0 – 0,5 Stunden am Tag und ab und zu auch noch etwas Wind.

Was tun?! Ich könnte nach Trois Vierges laufen, dort gibt es den nächsten Zeltplatz. Dort bleibe ich wieder einige Tage und hangle mich dann so durch Luxemburg. Aber ist es das, was ich will? Durchziehen, ohne zu genießen? Die Kombi aus Kalt, Nass und Matsch über längeren Zeitraum ist richtig hart. Da müsste ich zwischendurch Hotels nehmen, um die Ausrüstung zu trocknen und vom Schlamm zu befreien. Das wird teuer und ist auch weit entfernt von “schöner Zeit”. Momentan bin ich ca. 120 km Autostraße von zuhause weg, wenn mich Johanna abholt, bin ich bei ihr und kann die Zeit zu Hause mit ihr aussitzen. Diese Option habe ich wohl das letzte Mal, später bin ich zu weit entfernt. Also rief ich sie an und fragte sie, und tatsächlich holte sie mich am nächsten Vormittag ab (Ick liebe dir!). Noch an dem Abend bestätigte sich meine Entscheidung, denn ein Freund Matthias K. (Daaaanke!) rief mich an und fragte, ob er mich holen solle, denn er habe den Wetterbericht für meine Region gesehen. 

Als ich am nächsten Morgen zuhause aufwachte, war das (Bild oben), was ich sah und ich wusste die Entscheidung war richtig =)

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